Wirkungsmodell der Alltagsmobilität im Laborraum Rhein-Main-Gebiet

Einflussfaktoren auf die täglichen MIV-Wege und Wege aktiver Mobilität

Technische Universität Dresden, Fakultät Verkehrswissenschaften “Friedrich List”
Professur für Mobilitätssystemplanung

Autor:innen
Zugehörigkeit

Florian Schönherr

Technische Universität Dresden
Professur für Mobilitätssystemplanung

Rico Wittwer

Technische Universität Dresden
Professur für Mobilitätssystemplanung

1 Einführung

Die Alltagsmobilität von Personen und Personengruppen wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Um sie zu verstehen, werden im Rahmen dieses Wirkungsmodells räumliche, soziokulturelle und mobilitätsbezogene Einflüsse untersucht. Das vorliegende Factsheet wertet im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekts “Kompass” für den Laborraum Rhein-Main-Gebiet die Anzahl der täglichen Wege mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV) sowie die Anzahl täglicher Wege der aktiven Mobilität (Fuß- und Radverkehr) aus.

Ziel dieses Factsheets ist es, anhand von determinierenden Einflussfaktoren Wirkungszusammenhänge des Mobilitätsverhaltens im Rhein-Main-Gebiet aufzuzeigen, um Hebel zur nachhaltigen Veränderung der Alltagsmobilität zu identifizieren.

2 Datenaufbereitung und Beschreibung des Datensatzes

Der im Rahmen des Kompass-Forschungsprojekts harmonisierte Datensatz der beiden unabhängigen Querschnitsserhebungen Mobilität in Deutschland (MiD 2017) und Mobilität in Städten (SrV 2018) bildet die Datengrundlage des entwickelten Wirkungsmodells. In diesem Factsheet werden innerhalb des fusionierten MiD-SrV-Datensatzes die Mobilitätsdaten auf Personenebene des Untersuchungsraums Rhein-Main-Gebiet analysiert.

Weitere Informationen zu den beiden unabhängigen Erhebungen finden Sie auf den Webseiten Mobilität in Städten (SrV) und Mobilität in Deutschland (MiD).

Untersucht werden auf Personenebene:

  • mobile Personen (Personen, die mindestens einen Weg am Stichtag der Befragung hatten),

  • die sich am Stichtag an ihrem Wohnort befanden,

  • an einem mittleren Werktag in der Kernwoche (Dienstag-Donnerstag) und unter Ausschluss von Feiertagen berichteten.

Insgesamt umfasst die betrachtete Stichprobe auf Personenebene nach der Anwendung der beschriebenen Filterregeln 11.616 befragte Personen (ungewichtet). Vertiefende Analysen der Datenstrukturen und der Alltagsmobilität im Rhein-Main-Gebiet wurden unter anderem im zweiten Zukunftslabors am 13.10.2022 in einer Präsentation vorgestellt.

3 Datenexploration

Einen ersten Eindruck über die untersuchten Zielgrößen liefert die Häufigkeitsverteilung der zugehörigen Werte im Datensatz. Hierfür werden die beiden abhängigen Variablen zunächst in ihrer Ausprägung im Datensatz untersucht.

MIV-Wege sind hierbei Wege, bei denen nach der Verkehrsmittelhierarchie das Hauptverkehrsmittel

  • Moped/Mofa/Motorrad/Motorroller,

  • Pkw (Fahrer oder Mitfahrer) oder

  • Carsharing-Fahrzeug gewählt wurde.

Als aktive Wege werden Wege verstanden, welche:

  • ausschließlich zu Fuß oder

  • mit dem Hauptverkehrsmittel Fahrrad/Leihfahrrad/Elektrofahrrad/Pedelec zurückgelegt wurden.

3.1 Anzahl der MIV-Wege pro mobiler Person und Tag

Als abhängige Variable wird zunächst die Anzahl der täglichen MIV-Wege untersucht. Sie ist ein Indikator für die MIV-Nutzung in der Alltagsmobilität der befragten Personen. Aus Abbildung 1 wird deutlich, dass über 3.800 Personen in der Stichprobe, keine MIV-Wege am Stichtag verzeichneten. Mit etwa 3.600 Fällen wurden am häufigsten zwei MIV-Wege am Stichtag berichtet, ein weiterer “Peak” wird bei vier MIV-Wegen am Stichtag erreicht. Die Häufung von geraden Wegeanzahlen erklärt sich unter anderem daraus, dass MIV-Wege häufig in Ausgängen mit sowohl einem Hin- als auch einem Rückweg enthalten sind und vergleichsweise selten Aktivitäten verkettet werden.

Abbildung 1: Häufigkeitsverteilung der Anzahl der MIV-Wege

3.2 Anzahl der aktiven Wege pro mobiler Person und Tag

Bei den Wegen der aktiven Mobilität (zu Fuß, mit dem Fahrrad) in Abbildung 2 zeigt sich erneut, dass ein Großteil der befragten Personen keine (eigenständig) aktiven Wege am Stichtag hatte. Auch bei der Anzahl der aktiven Wege am Stichtag zeigt sich analog zur Häufigkeitsverteilung der Anzahl der MIV-Wege ein ähnliches Muster mit “Peaks” bei null, zwei und vier aktiven Wegen pro mobiler Person und Tag.

Abbildung 2: Häufigkeitsverteilung der Anzahl der aktiver Wege (zu Fuß, mit dem Fahrrad)

3.3 Betrachtete Einflussgrößen und deren Verteilung im Datensatz

Wie bereits in der Einführung beschrieben, wurden sowohl (1) räumliche, als auch (2) soziokulturelle und (3) personenbezogene Einflussfaktoren der Alltagsmobilität abgegrenzt und untersucht.

Zu den räumlichen Erklärungsgrößen zählen:

  • regionalstatistischer Gemeindetyp nach RegioStarGem5

  • Versorgungsqualität/Nahversorgung im Wohnumfeld

  • Qualität des ÖPNV im Wohnumfeld

  • Relief im Wohnumfeld

Als soziokulturelle Einflüsse wurden folgende Variablen als Erklärungsgrößen analysiert:

  • Geschlecht

  • Altersgruppen

  • Haushaltstyp

  • die Kaufkraft des Haushalts

  • Erwerbstätigkeit

  • Hochschulabschluss

Als mobilitätsbezogene Erklärungsgrößen sind in das Wirkungsmodell folgende Variablen eingeflossen:

  • Pkw-Verfügbarkeit

  • Besitz einer ÖPNV-Zeitkarte

  • übliche Fahrradnutzung im Alltag

  • Multimodalität vs. Monomodalität

Einen Eindruck über die räumliche Verteilung der Erklärungsgrößen und die Merkmalsausprägung der abhängigen Variablen (Mittelwerte der MIV-Wege und aktiven Wege) im Datensatz liefert Tabelle 1. Die Auswertungen zeigen, dass der (gewichtete) Mittelwert in Metropolen im Untersuchungsgebiet bei rund 1,3 MIV-Wegen und 1,7 (eigenständig) aktiven Wegen pro mobiler Person und Tag liegt, während er im kleinstädtischen und dörflichen Raum bei rund 2,9 MIV-Wegen und nur 0,6 (eigenständig) aktiven Wegen pro mobiler Person und Tag liegt. Das ist ein erster Hinweis auf einen starken Einfluss räumlicher Erklärungsgrößen auf das Mobilitätsverhalten im Alltag.

Tabelle 1:

Statistische Übersicht über die Einflussgrößen (gewichtete Auswertung)

Charakteristik Regionalstatistischer Raumtyp
Metropole,

N = 1718

Regiopole, Großstadt,

N = 2848

zentrale Stadt, Mittelstadt,

N = 3945

städtischer Raum,

N = 1174

kleinstädtischer, dörflicher Raum,

N = 252

ERHEBUNG
    MiD 2017 623 (36%) 603 (21%) 677 (17%) 1.174 (100%) 252 (100%)
    SrV 2018 1.095 (64%) 2.245 (79%) 3.268 (83%) 0 (0%) 0 (0%)
ÖPNV_QUALITÄT
    schlecht/sehr schlecht 55 (3,2%) 883 (31%) 3.587 (91%) 677 (58%) 215 (85%)
    gut/sehr gut 1.663 (97%) 1.965 (69%) 358 (9,1%) 497 (42%) 37 (15%)
VERSORGUNGSQUALITÄT
    schlecht/sehr schlecht 252 (15%) 386 (14%) 250 (6,3%) 352 (30%) 173 (68%)
    gut/sehr gut 1.466 (85%) 2.462 (86%) 3.696 (94%) 822 (70%) 79 (32%)
KAUFKRAFT
    niedrig/sehr niedrig 552 (32%) 1.028 (36%) 732 (19%) 244 (21%) 80 (32%)
    mittel 695 (40%) 775 (27%) 802 (20%) 395 (34%) 50 (20%)
    hoch/sehr hoch 471 (27%) 1.045 (37%) 2.411 (61%) 536 (46%) 121 (48%)
RELIEF
    flach (unter 5 %) 1.601 (93%) 2.272 (80%) 2.656 (67%) 578 (49%) 24 (9,5%)
    hügelig (5 % und mehr) 117 (6,8%) 575 (20%) 1.290 (33%) 596 (51%) 228 (91%)
FAMILIENHAUSHALT
    kein Familienhaushalt 1.033 (60%) 1.795 (63%) 2.352 (60%) 881 (75%) 196 (78%)
    Familienhaushalt 685 (40%) 1.053 (37%) 1.594 (40%) 293 (25%) 56 (22%)
GESCHLECHT
    männlich 831 (48%) 1.424 (50%) 1.911 (48%) 616 (52%) 141 (56%)
    weiblich 887 (52%) 1.424 (50%) 2.034 (52%) 558 (48%) 111 (44%)
ALTER
    Kinder und Jugendliche bis 17 J. 236 (14%) 436 (15%) 675 (17%) 20 (1,7%) 4 (1,6%)
    Junge Erwachsene < 35 J. 367 (21%) 641 (22%) 909 (23%) 208 (18%) 31 (12%)
    Mittleres Alter 874 (51%) 1.310 (46%) 1.693 (43%) 632 (54%) 135 (54%)
    Seniorenalter ab 65 J. 241 (14%) 462 (16%) 668 (17%) 315 (27%) 82 (32%)
ERWERBSTÄTIG
    nicht erwerbstätig 701 (41%) 1.299 (46%) 1.948 (49%) 523 (45%) 112 (44%)
    erwerbstätig 1.017 (59%) 1.549 (54%) 1.997 (51%) 651 (55%) 140 (56%)
HOCHSCHULABSCHLUSS
    kein Hochschulabschluss 940 (55%) 1.680 (59%) 2.572 (65%) 913 (78%) 204 (81%)
    Hochschulabschluss 778 (45%) 1.167 (41%) 1.373 (35%) 261 (22%) 48 (19%)
PKW_VERFÜGBARKEIT
    nein 362 (21%) 413 (15%) 406 (10%) 136 (12%) 6 (2,5%)
    ja 1.356 (79%) 2.434 (85%) 3.539 (90%) 1.039 (88%) 246 (97%)
ÖPNV_ZEITKARTE
    keine Zeitkarte 1.435 (84%) 2.650 (93%) 3.806 (96%) 1.029 (88%) 237 (94%)
    Zeitkarte 283 (16%) 198 (6,9%) 139 (3,5%) 145 (12%) 15 (6,0%)
FAHRRADNUTZUNG
    weniger als wöchentlich oder nie 878 (51%) 1.736 (61%) 2.425 (61%) 819 (70%) 199 (79%)
    mind. wöchentlich 840 (49%) 1.112 (39%) 1.520 (39%) 355 (30%) 53 (21%)
MULTIMODALITÄT
    Monomodales Verhalten 710 (41%) 1.275 (45%) 2.130 (54%) 767 (65%) 193 (77%)
    Multimodales Verhaltes 1.008 (59%) 1.573 (55%) 1.815 (46%) 408 (35%) 59 (23%)
MIV_WEGE 1,33 (1,69) 1,76 (1,83) 2,13 (2,01) 2,44 (2,08) 2,93 (1,94)
AKTIVE_WEGE 1,69 (1,98) 1,42 (1,84) 1,28 (1,73) 1,02 (1,47) 0,60 (1,17)

4 Wirkungsmodell (Lineares Mehrebenenmodell)

Als statistisches Modell zur Erklärung von Wirkungszusammenhängen in der Alltagsmobilität wurde ein Mehrebenenmodell geschätzt. Die Unabhänigkeit der Beobachtungen auf Personenebene ist bei Haushaltsbefragungen nicht zwingend gewährleistet, da die Befragungsergebnisse für eine Person vom befragten Haushalt, in welchem die Person lebt, abhängig sein können. In Mehrebenenmodellen (Mixed-Model) können sowohl zufällige Effekte (random effects) als auch feste Effekte (fixed effects) berücksichtgt werden.

In dieser Untersuchung wird ein lineares, gemischtes Modell (Linear-Mixed-Model) genutzt, um die Wirkungszusammenhänge in der Orginalskala (Wege/P, d) darstellen zu können. Die Konstante beschreibt die zu erwartende Anzahl an Wegen je mobiler Person und Tag für die Referenzgruppe. Die marginalen Effekte zeigen den Einfluss der Erklärungsgröße auf die erwartete Anzahl an Wegen bezogen auf das jeweilige Referenzlevel.

  • Bei einem Wert > 0 erhöht sich die erwartete Anzahl an Wegen/P, d durch die Ausprägung des Prediktors gegenüber dem Referenzlevel.

  • Bei einem Wert < 0 reduziert sich die erwartete Anzahl an Wegen/P, d um den angegebenen Zahlenwert gegenüber dem Referenzlevel.

  • Bei einem Wert von annähernd 0 hat die Ausprägung des Prediktors gegenüber dem Referenzlevel keinen starken Einfluss.

Um die Güte der Harmonisierung des MiD-SrV-Datensatzes zu prüfen, wurde die ursprüngliche Herkunft der Daten aus der MiD- bzw. SrV-Erhebung als Prediktorvariable ergänzt. Je kleiner der Effekt, umso höher ist die Qualität der Harmonisierung des kombinierten Datensatzes zu bewerten und umso besser ist der Datensatz für die Aufstellung eines Wirkungsmodells geeignet.

Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse des Wirkungsmodells bezogen auf die Erklärung der Anzahl an MIV-Wegen und der Anzahl an aktiven Wegen, die eine mobile Person im untersuchten Laborraum an einem mittleren Werktag (N = 11.616 Personen) berichtete. Aus den statistischen Prüfgrößen gehen folgende Erkenntnisse hervor:

  • Die Streuung der im Modell geschätzten Werte um die beobachteten Werte ist akzeptabel, da die Varianz der Fehlerterme bzw. Residuen (σ²) moderat ist.

  • Es existieren Gruppenunterschiede bzw. eine Variation beider abhängigen Variablen zwischen den 6.378 Haushalten (τ00), die über die festen Effekte des Modells hinausgehen.

  • Aus der Kombination aus σ² und τ00 wird in Bezug auf die Wegehäufigkeit im MIV und in der aktiven Mobilität abgeleitet, dass es sowohl eine erhebliche Variation zwischen den Gruppen (Haushalten) als auch eine individuelle Variation innerhalb der Gruppen gibt.

  • Sowohl bei den (eigenständig) aktiven Wegen als auch bei den MIV-Wegen werden etwa 30 % (ICC = 0,3) der Gesamtvariation durch die Variation innerhalb der Haushaltsebene erklärt. Die Gruppen- bzw. Haushaltszugehörigkeit hat somit einen Einfluss auf die untersuchten abhängigen Variablen.

  • Im MIV-Wege-Modell und Aktive-Wege-Modell können etwa 40 % der Gesamtvarianz (Conditional R² = 0,4) durch die im Modell berücksichtigten zufälligen und festen Effekte erklärt werden. Das Modell weist somit eine insgesamt zufriedenstellende Erklärungsgüte auf und ist geeignet, um Wirkungszusammenhänge der Alltagsmobilität analysieren zu können.

Tabelle 2:

Vergleich der Wirkungsmodelle (Linear Mixed Models)

  MIV-Wege
(Linear Mixed Model)
Aktive Wege
(Linear Mixed Model)
Erklärvariablen Koeffizienten CI Koeffizienten CI
(Konstante) -0.02 -0.25 – 0.22 1.11 *** 0.90 – 1.32
REGION: Metropole Reference Reference
REGION: Regiopole, Großstadt 0.15 * 0.03 – 0.28 -0.02 -0.14 – 0.09
REGION: zentrale Stadt, Mittelstadt 0.41 *** 0.26 – 0.55 -0.14 * -0.27 – -0.00
REGION: städtischer Raum 0.51 *** 0.35 – 0.68 -0.30 *** -0.45 – -0.15
REGION: kleinstädtischer, dörflicher Raum 0.59 *** 0.34 – 0.85 -0.35 ** -0.58 – -0.12
ÖPNV_QUALITÄT: schlecht/sehr schlecht Reference Reference
ÖPNV_QUALITÄT: gut/sehr gut -0.11 * -0.22 – -0.00 0.07 -0.03 – 0.17
VERSORGUNGSQUALITÄT: schlecht/sehr schlecht Reference Reference
VERSORGUNGSQUALITÄT: gut/sehr gut -0.18 ** -0.29 – -0.07 0.26 *** 0.16 – 0.37
KAUFKRAFT: niedrig/sehr niedrig Reference Reference
KAUFKRAFT: mittel 0.09 -0.02 – 0.19 -0.01 -0.11 – 0.08
KAUFKRAFT: hoch/sehr hoch 0.21 *** 0.11 – 0.31 -0.17 *** -0.26 – -0.07
RELIEF: flach (unter 5 %) Reference Reference
RELIEF: hügelig (5 % und mehr) 0.10 * 0.00 – 0.19 -0.07 -0.16 – 0.02
FAMILIENHAUSHALT: kein Familienhaushalt Reference Reference
FAMILIENHAUSHALT: Familienhaushalt 0.27 *** 0.17 – 0.37 0.23 *** 0.14 – 0.32
GESCHLECHT: männlich Reference Reference
GESCHLECHT: weiblich 0.01 -0.05 – 0.07 0.23 *** 0.18 – 0.29
ALTER: Kinder und Jugendliche bis 17 J. Reference Reference
ALTER: Junge Erwachsene < 35 J. 0.62 *** 0.48 – 0.77 0.11 -0.03 – 0.24
ALTER: Mittleres Alter 0.90 *** 0.76 – 1.04 0.30 *** 0.17 – 0.43
ALTER: Seniorenalter ab 65 J. 1.02 *** 0.87 – 1.16 0.27 *** 0.14 – 0.39
ERWERBSTÄTIG: nicht erwerbstätig Reference Reference
ERWERBSTÄTIG: erwerbstätig 0.12 * 0.02 – 0.23 -0.30 *** -0.39 – -0.21
HOCHSCHULABSCHLUSS: kein Hochschulabschluss Reference Reference
HOCHSCHULABSCHLUSS: Hochschulabschluss -0.03 -0.10 – 0.05 0.15 *** 0.08 – 0.22
PKW_VERFÜGBARKEIT: nein Reference Reference
PKW_VERFÜGBARKEIT: ja 1.47 *** 1.35 – 1.58 -0.45 *** -0.55 – -0.35
FAHRRADNUTZUNG: weniger als wöchentlich oder nie Reference Reference
FAHRRADNUTZUNG: mind. wöchentlich -0.26 *** -0.35 – -0.17 1.20 *** 1.11 – 1.28
ÖPNV_ZEITKARTE: keine Zeitkarte Reference Reference
ÖPNV_ZEITKARTE: Zeitkarte -0.65 *** -0.79 – -0.51 -0.10 -0.22 – 0.03
MULTIMODALITÄT: Monomodales Verhalten Reference Reference
MULTIMODALITÄT: Multimodales Verhaltes -0.40 *** -0.49 – -0.31 -0.37 *** -0.45 – -0.29
ERHEBUNG: MiD 2017 Reference Reference
ERHEBUNG: SrV 2018 -0.11 -0.22 – 0.01 -0.03 -0.13 – 0.08
Random Effects
σ2 2.34 1.83
τ00 0.91 HAUSHALT 0.83 HAUSHALT
ICC 0.28 0.31
N 6378 HAUSHALT 6378 HAUSHALT
Observations 11616 11616
Marginal R2 / Conditional R2 0.186 / 0.413 0.124 / 0.398
* p<0.05   ** p<0.01   *** p<0.001

4.1 Einflüsse auf die Anzahl an MIV-Wegen

Abbildung 3 zeigt zunächst die Einflüsse der Erklärungsgrößen auf die Anzahl der MIV-Wege, die eine Person am Tag besitzt. Folgende Kernergebnisse können der Abbildung entnommen werden:

  1. Je ländlicher der regionalstatistische Raumtyp ist, umso größer ist die Anzahl der täglichen MIV-Wege.

  2. Eine hohe Qualität der Nahversorgung und eine gute bzw. sehr gute ÖPNV-Qualität reduzieren die Anzahl der täglichen MIV-Wege.

  3. Je höher die Kaufkraft eines Haushalts, umso mehr MIV-Wege werden täglich zurückgelegt.

  4. In Familienhaushalten erhöht sich die Anzahl an MIV-Wegen pro Person und Tag gegenüber Nicht-Familienhaushalten.

  5. Die Einflüsse des Geschlechts und des Besitzes eines Hochschulabschlusses zeigen kaum einen Effekt auf die Anzahl der täglichen MIV-Wege und werden nicht signifikant.

  6. Ein hügeliges Relief im Wohnumfeld (>5 %) sowie die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erhöhen die Anzahl der täglischen MIV-Wege geringfügig.

  7. Gegenüber der Referenzgruppe der unter 18-Jährigen erhöht sich die Anzahl der MIV-Wege mit zunehmenden Alter. Junge Erwachsene verzeichnen hierbei weniger MIV-Wege als Erwachsene mittleren Alters und Senioren.

  8. Die Verfügbarkeit eines Pkw am Stichtag der Befragung hat erwartungsgemäß den stärksten Einfluss auf die Anzahl der täglichen MIV-Wege.

  9. Gleichzeitig reduziert sich die Pkw-Nutzung stark, wenn die befragte Person eine ÖPNV-Zeitkarte besitzt.

  10. Nutzt eine Person mindestens wöchentlich das Fahrrad, reduzieren sich ihre MIV-Wege am Tag gegenüber einer Person, die seltener als wöchentlich das Fahrrad nutzt. Auch ein alltägliches Mobilitätsverhalten, das auf verschiedene Verkehrsmittel zurückgreift (multimodales Verhalten) hat eine reduzierende Wirkung auf die Anzahl täglicher MIV-Wege.

Der marginale Effekt der Erhebung (MiD oder SrV) auf die Anzahl der täglichen MIV-Wege zeigt eine geringfügig reduzierenden Effekt in der SrV-Erhebung, der jedoch nicht signifikant ist. Der geringe marginale Effekt spricht für eine hohe Harmonisierungsgüte und somit eine hohe Aussagekraft des kombinierten MiD-SrV-Datensatzes im beschriebenen Anwendungsfall.

Abbildung 3: Marginale Effekte (Linear Mixed Model) auf die Anzahl der MIV-Wege

4.2 Einflüsse auf die Anzahl an aktiven Wegen

Abbildung 4 veranschaulicht den Einfluss der Erklärungsgrößen auf die Anzahl der aktiven Wege einer Person an einem mittleren Werktag. Folgende Wirkungseffekte auf die Anzahl der täglichen Wege aktiver Mobilität (zu Fuß, mit dem Fahrrad) konnten gefunden werden:

  1. Je ländlicher der regionalstatistische Raumtyp, umso weniger aktive Wege werden pro Person und Tag gegenüber einer Person in der Metropolregion Frankfurt am Main zurückgelegt.

  2. Eine hohe Versorgungsqualität am Wohnort erhöht die Anzahl aktiver Wege einer Person gegenüber einer Person mit einer niedrigen Qualität der Nahversorgung im Wohnumfeld.

  3. Eine hohe Kaufkraft eines Haushaltes reduziert die Zahl der täglichen aktiven Wege einer Person.

  4. Personen mit weiblichem Geschlecht verzeichnen mehr aktive Wege als männliche Personen. Eine Person, die in einem Familienhaushalt lebt, hat ebenfalls mehr aktive Wege als eine Person, die nicht in einem Familienhaushalt wohnt.

  5. Personen mittleren Alters (35-64 Jahre) und Senioren weisen signifikant mehr aktive Wege auf als Personen unter 18 Jahren.

  6. Erwerbstätige haben weniger aktive Wege am Tag als Nicht-Erwerbstätige, währenddessen Personen mit Hochschulabschluss signifikant mehr aktive Wege verzeichnen als Personen ohne Hochschulabschluss.

  7. Die Verfügbarkeit eines Pkw im Haushalt reduziert die Anzahl der aktiven Wege deutlich.

  8. Eine mindestens wöchentliche Fahrradnutzung erhöht die Anzahl täglicher aktiver Wege am stärksten gegenüber Personen, die seltener als wöchentlich das Fahrrad nutzen.

  9. Die Wirkungseffekte des Besitzes einer ÖPNV-Zeitkarte, einer hohen ÖPNV-Qualität und eines hügeligen Reliefs auf die Anzahl der täglichen aktiven Wege werden nicht signifikant gegenüber dem jeweiligen Referenzlevel.

  10. Personen mit multimodalem Verhalten haben deutlich weniger aktive Wege als Personen mit monomodalem Verhalten.

Der Wirkungseffekt der Herkunft der Daten aus den unterschiedlichen Erhebungen (MiD oder SrV) ist erneut sehr klein und zudem nicht signifikant, sodass die hohe Harmonisierungsgüte und die hohe Aussagekraft des kombinierten MiD-SrV-Datensatzes bestätigt werden.

Abbildung 4: Marginale Effekte (Linear Mixed Model) auf die Anzahl der aktiven Wege

5 Fazit

Die vorgestellten Analysen zeigen, dass die Alltagsmobilität im Rhein-Main-Gebiet sich anhand von räumlichen, soziokulturellen und mobilitätsbezogenen Prediktoren nachvollziehbar unter Nutzung des harmonisierten MiD-SrV-Datensatzes modellieren lässt. Die Harmonisierung ermöglicht somit unter anderem eine höhere räumliche Abdeckung, da zusätzlich zu den erhobenen Daten in Städten (Mobilität in Städten - SrV) durch die Fusion mit den MiD-Daten auch eine hohe Verfügbarkeit von Mobilitätsdaten in ländlichen bzw. suburbanen Räumen existiert.

Exemplarisch für die Analyse von Wirkungszusammenhängen der Alltagsmobilität wurden die Wegehäufigkeiten der täglichen MIV-Wege und aktiven Wege (Wege ausschließlich zu Fuß und mit dem Fahrrad) untersucht. Die Nutzung eines “Mehrebenenansatzes” (Multi-Level-Model) ist vielversprechend, um zufällige Effekte und Verzerrungen (random effects), die durch die Verletzung des Unabhängigkeitskriteriums bei hierarchischen Daten (Gemeinde-, Haushalts-, Personen-, Wegeebene) entstehen, von den Wirkungseffekten der Erklärungsgrößen (fixed effects) separieren zu können.

Bei der Wegehäufigkeit im motorisierten Individualverkehr (MIV) im Untersuchungsraum Rhein-Main-Gebiet wird auf räumlicher Ebene eine hoher Einfluss des regionalstatistischen Raumtyps festgestellt. Auf soziokultureller Ebene beeinflusst das Alter maßgeblich die Anzahl an MIV-Wegen pro Person und Tag. Bei jungen Erwachsenen ist bereits eine niedrigere Pkw-Nutzung als bei Erwachsenen mittleren und hohen Alters zu verzeichnen. Die Pkw-Verfügbarkeit bildet die Erklärungsgröße mit dem stärksten Einfluss auf die Wegehäufigkeit im MIV. Ihr entgegen wirken besonders der Besitz einer ÖPNV-Zeitkarte, ein multimodales Verhalten in der Alltagsmobilität und eine regelmäßige Fahrradnutzung.

Der Raumtyp (urbane vs. ländliche Räume) beeinflusst auch die Wegehäufigkeit der aktiven Mobilität stark. Zusätzlich wirkt sich eine hohe Qualität der Nahversorgung positiv auf die Wegehäufigkeit des Zufußgehens und Radfahrens aus. Auf soziokultureller Ebene zeigt sich, dass Frauen und Personen in Familienhaushalten sowie Personen mit Hochschulabschluss mehr aktive Wege verzeichnen, während eine hohe Kaufkraft eines Haushalts sowie das Ausüben einer Erwerbstätigkeit aktive Mobilität eher reduziert. Auf der Ebene der mobilitätsbezogenen Einflüsse reduziert die Pkw-Verfügbarkeit aktive Mobilität, während eine regelmäßige Fahrradnutzung die Wegehäufigkeit der aktiven Mobilität erwartungsgemäß stark fördert. Personen mit einem multimodalen Mobilitätsverhalten im Alltag haben im Allgemeinen weniger aktive Wege, sodass aktive Mobilität eher mit einem monomodalem Mobilitätsverhalten (insbesondere einer monomodalen Fahrradnutzung) einhergeht.

6 Quellenverzeichnis

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